• Minimuseum

    Familien- und Lokalgeschichte

    Gemeindehaus Hirschenhof, 18. Jahrhundert

    Hirschenhof (Irši) und Paulsberg (Milchquartier, Bremen)

    Zwei Lebenswelten, zwei Sprachen, zwei Kulturkreise, 1200 km entfernt - hier verbunden.

  • Hirschenhof

    Russische Kolonie Deutscher Siedler - heute Lettland

    Auswanderer im18. Jahrhundert,  Scherenschnitt von Helga Borngässer-Geyl (2009) nach einer Radierung von Daniel Chodowiecki (18. Jahrh.)

    Wie viele absolutistische Herrscher ...

    des 18. Jahrhunderts betrieb auch Katharina die Große von Rußland "Peuplierung". Das heißt, sie warb Siedler im Ausland an, um ungenutztes oder nur extensiv bewirtschaftetes Land urbar zu machen. Dies belebte die Volkswirtschaft und erhöhte die Staatseinnahmen - nach einigen Frei-Jahren, in denen keine Steuern und Abgaben gezahlt werden mußten.

     

    Die Hirschenhofer Siedler wurden im Badischen an- aber auch aus anderen Kolonien abgeworben, zum Beispiel aus Deutschen Siedlungen in Jütland.

     

    Die Anreise erfolgte über Lübeck oder Danzig mit dem Schiff nach Oranjenbaum bei Kronstadt/St. Petersburg. Dort wurden die Siedler gesammelt und den Kolonien zugeteilt. Die Hirschenhofer brachte man dann mit dem Schiff nach Riga und von dort aus auf dem Landweg - vermutlich mit Ochsenwagen-Trecks - Dünaaufwärts in die Siedlung.

     

    Dort erfolgte die Landzuteilung. Jede Familie erhielt auf ihrem Grundstück ein mehr oder weniger genormtes Blockhaus, das von lokalen Handwerkern errichtet wurde. Ein Beispiel ist erhalten.

     

    Hirschenhof bestand über sieben Generationen als deutsche Siedlung. 1939 siedelten die allermeisten Bewohner im Rahmen der faschistischen "Heim-ins-Reich"-Kampagne nach Deutschland. Lettische Bauern übernahmen. Es folgten Kollektivierung und Reprivatisierung.

    Auswanderer im18. Jahrhundert,  Scherenschnitt von Helga Borngässer-Geyl nach einer Radierung von Daniel Chodowiecki

    Migrationen nach Hirschenhof und zurück am Beispiel ausgewählter Familien

  • Paulsberg

    Ein typischer Norddeutscher "Berg", ganz aus Sand, höchstens 13 Meter hoch. Mitten in Bremen

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    Den Soldaten folgten die Priester ...

    als die Heere Karls des Großen das Land der Sachsen blutig eroberten. Um 780 hatte sich die Lage so weit stabilisiert, dass in Bremen das erste Bistum gegründet und der erste Dom errichtet werden konnte. Die hölzerne Kirche hielt aber nur drei Jahre. Dann wurde sie in einem neuen Aufstand der sächsischen Urbevölkerung niedergebrannt.

     

    Mit drakonischen Strafen setzte die Besatzungsmacht ihre Herrschaft durch - auch ihre Staatsreligion. Und mit den Generationen geriet der alte Götterglaube in Vergessenheit; der neue, christliche Ritus durchdrang den Alltag der Menschen. Im 11. Jahrhundert gründete Erzbischof Adalbert auf der Düne östlich der Stadtmauer die Propstei St. Pauli. Nach einer größeren Stiftung eines kinderlosen Adligen aus der Wesermarsch wurde die Einrichtung zur Abtei aufgewertet (1138/39). Das Kloster florierte - allerdings eher in wirtschaftlicher als in spiritueller Hinsicht. Über hundert Höfe entlang der Weser, zwischen Nienburg und Cuxhaven, waren abgabepflichtig. Und in der Pauliner Marsch betrieb man eine stattliche Viehwirtschaft. Die Gaststätte "Jürgenshof" ist heute sichtbares Zeugnis. Dabei gab es im Kloster weniger als 20 Mönche und die Bibliothek war am Ende mit ihren 200 Büchern eher bescheiden.

     

    Um das Kloster herum entstand eine Wohnsiedlung von Bauern und Handwerkern, die auch von den Aufträgen des Klosters lebten. Das heutige Straßennetz zwischen Sielwall/Dobben und Wall entstand im wesentlichen in dieser Zeit, also schon im Hochmittelalter.

     

    Mit der Reformation endete die Existenz des Klosters. Bremer Bürger stürmten den Klosterbezirk und rissen alle Gebäude in wenigen Wochen, unter Führung des Schmiedeamtes, bis auf die Grundmauern nieder. Die gewonnenen Materialien waren in jener Zeit wertvolle Baustoffe und fanden zum Beispiel beim Ausbau des Schüttings am Marktplatz und beim Bau der Stadtmauer Verwendung. Bis zum Ende des Jahres 1523 waren nur einige Wirtschaftsgebäude übrig geblieben.

     

    Die letzten Reste verschwanden während des 30jährigen Krieges, als der Bremer Rat den militärstrategisch ungünstig gelegenen Klosterhügel abtragen ließ. - Er hatte ursprünglich eine ähnliche Höhe wie der höchste Punkt der Stadt, die Domdüne, und hätte es feindlichen Heeren erlaubt, die niedriger gelegenen Stadtviertel von oben zu beschießen. Dabei wurde die komplette Hügelkuppe entfernt - wahrscheinlich eine drei bis vier Meter mächtige Schicht. Und so sind heute nicht einmal mehr die Keller oder die Fundamente der Klosteranlage erhalten. Das gewonnene Material wurde zum Aufschütten der Ostertorbastion verwendet und formt nun, nachdem die Wehranlagen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum heutigen Park umgewandelt wurden, die Altmannshöhe.

     

    Auf dem geräumten Klostergelände entstanden in den Jahrzehnten nach der Abtragung neue Gebäude. Die Gegend blieb zunächst bäuerlich und handwerklich geprägt. Eine Verdichtung und städtische Besiedlung begann, erst um 1850, als die Torsperre aufgehoben wurde - das heißt, die Vorstadtbewohner konnten nun jederzeit und kostenlos die Innenstadt betreten.

     

    Mit der Motorisierung des Straßenverkehrs wurde das Straßennetz zu klein und das Bauamt plante und baute diverse Ringstraßen zur Entlastung der Innenstadt. Im Faschismus begann man dann, erste Brückenbauideen der späten Weimarer Zeit aufnehmend, Planungen für einen Pracht-Boulevard in Nord-Süd-Richtung quer durchs Ostertor, flankiert von nationalistisch-protzigen Großgebäuden. Und mit anschließender Weserbrücke. Diese Pläne erledigten sich mit dem Ende der Diktatur, jedoch blieb eine "säkularisierte" Version in der Schublade, schmaler aber immer noch vierspurig, ohne die Prunkgebäude, dafür von funktionalen Hochhäusern gesäumt. Ausgerechnet in den rebellischen 68er Jahren begann man die Umsetzung der "Mozart-Trasse". 800 Grundstücke links und rechts der Weser wurden gekauft oder enteignet, Rembertiring und Hochstraße am Breitenweg wurden gebaut und die vollständige Zerstörung des Ostertorviertels stand unmittelbar bevor. Eine starken Bürgerbewegung entstand. Man taktierte klug. Man war am Ende erfolgreich. Olaf sei Dank! Und so blieb eines der schönsten Stadtviertel Bremens erhalten - natürlich, leider - aber wie sollte es auch anders sein - in gentrifizierter Form. Zum Glück nur milde.

     

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  • Migrationen

    Baden - Pommern - Russland - Lettland - Bremen: eine Reise über sieben Generationen

    Julius und Pauline Schönberg geb. Kist, 1933

    "Paula"

    Meine Urgroßmutter Marie Pauline "Paula" Schönberg geb. Kist wurde 1874 in Hirschenhof geboren - genauer gesagt in Helfreichshof, einer kleinen Exklave, nördlich, am Flüsschen Oger gelegen.

     

    Der Bauernhof Ihres Vaters war groß aber florierte nicht. Die Familie hielt sich eher mühsam über Wasser, indem neben der Landwirtschaft diverse Gewebe betrieben wurden. Der Vater arbeitete auch als Schneider und die Brüder lernten das Schmiedehandwerk - im Zeitalter der sich ausweitenden Mechanisierung ein Modeberuf.

     

    Vermutlich hatte die Misere schon 1766, dem Jahr der Einwanderung begonnen. Paulas Ur-Ur-Ur-Großvater, der Ackermann Heinrich Kist aus Saarbrücken-Nassau hatte seine kleine Landwirtschaft aufgegeben. Preußische Anwerber boten attraktive Siedlungsbedingungen und die Familie zog zunächst nach Preußen. Die vorgefundenen Bedingungen waren jedoch eher enttäuschend. So hatten Russische Anwerber leichtes Spiel und bewegten die Kolonisten noch weiter im Osten ihr Glück zu suchen. Immerhin gab es stattliche 50 Hektar Land: kostenlos, vererbbar und über die ersten Jahre abgabenfrei. Außerdem günstige Kredite für die erforderlichen Investitionen. Alles hätte so schön werden können - wenn er die Reise überlebt hätte. Er starb unmittelbar nach der Ankunft in Russland.

     

    Und die Witwe, Sara Kist geborene Reeb, erreichte Hirschenhof allein, mit ihren drei minderjährigen Kindern. Das Ihr zugeteilte Grundstück war zwar mit über 60 Hektar eins der größten der Kolonie, dafür aber sandig-unfruchtbar, sehr abgelegen und extrem lang und schmal, das heißt für eine effiziente Bearbeitung sehr ungünstig geformt. Die Witwe musste erst noch lernen, sich in der Männerwelt der Kolonie durchzusetzen.

     

    Vier Generationen später gaben die Kists auf. Paulas Vater gab den Hof an die russische Kolonialbehörde zurück und die Familie ging in die Stadt - nach Riga, wo er als Schneider arbeitete. Paula zog mit und liebte das Großstadtleben, vor allem die Mode - sie wurde, vom Vater angeregt, eine talentierte Schneiderin.

     

    Paulas Ehe brachte nach vier Töchtern - drei weitere Kinder waren jung gestorben - einen bescheidenen sozialen Aufstieg. Ehemann Julius Schönberg, ein Malergeselle von der Insel Ösel, erhielt eine Anstellung als zaristischer Beamter und man konnte vom damals ärmlichen Hasenholm (Zaķusala) in eine neu gebaute Dienstwohnung in der gediegenen Schulstraße (Skolas iela) ziehen. Julius wurde sogar im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit von den zaristischen Behörden dekoriert - wofür? Das möchte ich auch sehr gern wissen, wahrscheinlich liegt die Lösung irgendwo, auf Russisch, in den Tiefen des Rigaer Staatsarchivs.

     

    Die Machtergreifung der Bolschewiki in Riga verlief ohne viel Blutvergießen. Der Bürgerkrieg begann erst nach wenigen Wochen mit der Konterrevolution. Eine Koalition aus baltischen und deutschbaltischen Freicorps (etliche Akteure sollten später, auch bei der Zerschlagung der Weimarer Republik eine zentrale Rolle spielen) unterstützt durch die Kaiserliche Armee begann die Besetzung Rigas. Die Schönbergs schickten ihre Töchter nach Jūrmala, dem Seebad der Rigaer. Dort waren sie vor den bewaffneten Kämpfen sicher, die in vielen Stadtbezirken tobten.

     

    Eine Zufallsbekanntschaft, ein deutscher Soldat, kümmerte sich um die Gruppe der vier jungen, attraktiven Frauen. Auf keinen Fall dürften sie zurück in die Stadt. Dort würde scharf geschossen. Und wer weiß, ob der Schlamassel nicht überhaupt auf Jūrmala übergreifen würde. Am besten kämen sie mit ihm nach Bremen, dort sei alles sicher und friedlich. Schließlich würde das Kaiserliche Heer eine Repatriierung von Baltendeutschen systematisch unterstützen.

     

    War es Liebe? Panik? Abenteuerlust? Ein kluger Plan? Wie überredeten die Mädchen Ihre Eltern? Oder gingen sie ohne Erlaubnis? - Sie gingen.

     

    In Bremen heirateten im Laufe der nächsten Jahre die vier Schönberg-Mädchen vier Freunde: den Soldaten Gerhard und drei junge Neustädter, alle drei leidenschaftliche Musiker und alle drei mit dem Vornamen Heinz. Wie das Leben so spielt.

     

    Paula und Julius, die Eltern, kamen 1922 nach. Lettische Nationalisten hatten mit Hilfe der Freicorps und des kaiserlichen Heeres den Bürgerkrieg gewonnen und eine Diktatur errichtet. Und Julius saß nun mit seinem Zarenorden zwischen allen Stühlen. Da war keine Zukunft mehr, für ihn - in Riga.

    Paula (Mitte links) in Bremen mit ihren Nachkommen (1939)

    Paula und ihre Nachkommen im Schrebergarten, noch scheint alles so friedlich. Bremen Frühjahr 1939

  • Interaktive Karte Hirschenhof

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    Interaktive Karte Hirschenhof

    Hirschenhof

    Bilder und Texte zur Geschichte der deutschen Siedlung in Russland. Genealogische Angaben zu den Hofbesitzerfamilien und den Vorfahren der Paula Kist.

     

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  • Interaktive Karte Paulsberg

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    Interaktive Karte Paulsberg

    Der Paulsberg im Bremer Ostertorviertel

    Wo war denn eigentlich das Paulskloster? - Bilder und Texte zur Geschichte rund um das Bremer Milchquartier und über seine Bewohner.

     

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    June 24, 2019
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    Interessante Seiten zur Lokalgeschichte in zufälliger Reihenfolge:

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    Geschichte des Osterdeichs

    Autor: Harald Klingebiel, Bremen

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    Geschichte der Eiswette

    Autor: Arndt Frommann, Bremen

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    Spurensuche: Bremen im 3. Reich

    Erinnern für die Zukunft e.V., Kontakt: John Gerardu, Bremen

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    Stolpersteine Bremen

  • Literatur

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  • Abbildungen

    [Minimuseum:] Das Hirschenhofer Gemeindehaus aus dem 18. Jahrhundert. Foto Joachim Bredull, 2017.

    [Auswanderer(1):] Scherenschnitt von Helga Borngässer-Geyl (2009) nach einer Radierung von Daniel Chodowiecki (1726-1801). Die Verwendung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.
    [Auswanderer(2):] Grafik, Joachim Bredull 2017
    [Paulskloster:] J.F.W. Weymann, Aquarell; Illustration aus: Koster, Peter: Kurze Nachricht von der Stadt Bremen, Kirchen, Schulen, Klöstern und Armen Häusern. Handschrift 1702. Reproduktion: Staatsarchiv Bremen 1986

    [Migrationen(1):] Foto (1933) vermutlich Heinrich Bredull (1899-1991). (Das Ehepaar Paula und Julius Schönberg im Garten ihres Wohnhauses in Bremen, Große Annenstr. 5.) Nachlass Ursula Bredull geb. Meyer (1926-2011), Kirchweyhe bei Bremen.

    [Migrationen(2):] Foto (1939) vermutlich Heinrich Bredull (1899-1991). (Paula [Mitte links] mit ihren Nachkommen im Schrebergarten der Tochter Mimi, Bremen, Ellaweg 1.) Nachlass Ursula Bredull geb. Meyer (1926-2011), Kirchweyhe bei Bremen. (Da das Wohnhaus im Bombenkrieg völlig zerstört werden wird - zusammen mit der gesamten Großen Annenstraße -, wird die Familie nach dem Krieg übergangsweise ganz in den abgebildeten Schrebergarten ziehen.)

     

     

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